26.10.2017
An die Hand nehmen
RECKLINGHAUSEN. Elaine Kay sieht nicht so aus, als würde sie schwer an der Verantwortung tragen – der Verantwortung für einen Menschen, einen fremden noch dazu. „Das empfinde ich nicht als Last. Wenn ich unsicher bin, tausche ich mich mit anderen aus“, sagt die Frau mit den hellen Haaren bestimmt. Die 61-Jährige hat ein besonderes Ehrenamt: Elaine Kay steht einer hilflosen Person bei. Sie ist gesetzliche Betreuerin. „Das ist keine einfache Aufgabe. Davor schrecken viele zurück“, weiß Simona Karzelek vom Betreuungsverein des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF).
Nicht so Elaine Kay. Denn dass Hilfsbereitschaft „selbstverständlich“ ist, hat sie schon als Kind gelernt. Elaine Kay lebte in einem Zechendorf in England. Der Krieg war vorüber. Und Menschen aus Osteuropa bauten sich dort eine neue Existenz auf. „Nach der Schicht hat mein Vater ihnen immer geholfen, denn er konnte Dinge einfach erklären“, berichtet Elaine Kay, die 1984 nach Recklinghausen kam. Gemeinsam mit ihrem Mann Alan übernahm die Lehrerin und Übersetzerin eine Sprachschule. Die gibt es zwar nicht mehr, das Paar hat aber trotzdem noch gut zu tun. Und in ihrer Freizeit kümmert sich Elaine Kay um – nennen wir ihn Hans (60).
„Das ist eine gute Sache“, betont Simona Karzelek und nickt Elaine Kay anerkennend zu. Sie wünscht sich mehr Engagierte von diesem Schlag. Denn Fakt ist: Ehrenamtliche müssen nicht auf die Uhr gucken, wenn sie sich kümmern – im Gegensatz zu Simona Karzelek und ihren Kolleginnen vom SkF. Die vier betreuen rund 100 Männer und Frauen. Für 24 Hilfsbedürftige bleiben Simona Karzelek aber gerade einmal 20 Stunden in der Woche. „Die Fallzahlen sind so groß, weil die Vergütung seit Jahren nicht erhöht worden ist. Nur so können sich Vereine und Berufsbetreuer über Wasser halten. Da müsste die Politik endlich die richtigen Weichen stellen“, kritisiert sie.
Doch gleichgültig, wer betreut: Sie alle springen ein, wenn eine Person – sei es durch Unfall, Krankheit oder Alter – nicht (mehr) für sich sorgen oder (rechtlich) entscheiden kann. In der Regel kümmern sich die Ehrenamtlichen um die eigenen Angehörigen. Da ist der Vater, der einen Schlaganfall erlitten hat, oder die Mutter, die psychisch erkrankt ist. Wer keine Familie hat, die bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen, ist auf die Vereins- und Berufsbetreuer oder auf einen der wenigen Freiwilligen „ohne Familienanschluss“ angewiesen. Eine wie Elaine Kay. Aber davon gibt es beim SkF gerade einmal fünf.
Die Wohltätigkeitsaktion des Lions-Clubs, dem ihr Mann angehört, führte Elaine Kay vor 30 Jahren ins Haus Regenbogen. Bei einem Spielenachmittag lernte sie dort Hans und dessen Betreuerin kennen. Hans ist von Geburt an mehrfach behindert, sitzt im Rollstuhl und kann nicht sehen. Elaine Kay interessierte sich für die Bewohner, für deren Leben, verbrachte immer wieder Zeit im Haus. „Das mache ich gerne, dabei lerne ich nicht aus“, erklärt sie voller Inbrunst. Und bevor Hans’ Betreuerin starb, versprach sie der Frau, fortan für ihn da zu sein. Sechs Jahre sind seitdem vergangen.
„Die gesetzlichen Betreuer treffen alle Entscheidungen, auch die rechtlichen“, erzählt Simona Karzelek weiter. Wo soll der Mensch leben? Welche Ärzte besucht er? Wie viel Geld darf er oder sie ausgeben? Die Helfer organisieren den Alltag zu Hause, bearbeiten die Post, begleiten zu Ämtern und zur Bank. Aber natürlich stehen sie unter Kontrolle. „Ich kann mir von Hans’ Geld kein Auto kaufen“, meint Elaine Kay augenzwinkernd. Doch sie und Simona Karzelek wissen auch, dass es bereits schwarze Schafe gab, die sich am Eigentum ihrer Schützlinge bereichert haben. Und es existiert noch ein Grund, warum das Ehrenamt des gesetzlichen Betreuers nicht weit oben auf der Beliebtheitsskala rangiert. Denn manch einer denkt sofort an „Entmündigung.“ „Davon kann aber nicht die Rede sein. Niemand verliert seine Rechte“, betont Simona Karzelek, „es geht darum, die Interessen der Person zu vertreten.“ Und sie weiß aus Erfahrung: Es ist manchmal sogar einfacher, wenn kein Familienverhältnis besteht. „Nicht selten befürworten die Angehörigen alles medizinisch Mögliche, weil sie Vater oder Mutter nicht gehen lassen wollen. Da fehlt die Distanz“, so die Sozialarbeiterin.
Die besitzt Elaine Kay zwar, dennoch hat sie ein inniges Verhältnis zu Hans aufgebaut. Wenn sie von dem 60-Jährigen spricht, nennt sie ihn „kleiner Bruder“. In der Woche verbringt sie bis zu fünf Stunden bei ihm. „Das ist eine Bereicherung“, verrät Elaine Kay und lacht zufrieden. Aber einmal lag die Verantwortung doch schwer auf ihren Schultern. Hans sollte operiert werden. Und sie musste ihr Einverständnis geben. Mit „Herz und gesundem Menschenverstand“ hat sie auch diese Aufgabe gemeistert. Und sich gegen den Eingriff entschieden – zum Wohle des „kleinen Bruders“.
Quelle: RECKLINGHÄUSER ZEITUNG vom 26.10.2017
INFO
Betreuungsstelle der Stadt
Die Betreuungsstelle für Erwachsene der Stadt informiert über das Thema und vermittelt die Betreuer.
- Betreuung durch Ehrenamtliche (in der Regel Angehörige) in Recklinghausen: 840 Fälle. Der SkF-Betreuungsverein begleitet fünf Ehrenamtliche mit „außerfamiliären“ Betreuungen.
- Betreuung über die Fachleute von Vereinen: 103 Fälle.
- Berufsbetreuer (Anwälte, Notare): 1 173 Fälle.
- Betreuer noch offen: in 287 Fällen.
INFO Betreuungsstelle RE: Tel.: 50 22 08, Tel.: 50 24 45Tel.: 50 21 85 SkF-Betreuungsverein: Tel.: 48 59 80
DATEN UND FAKTEN
25 Jahre Betreuungsrecht Die Vormundschaft für Menschen ab 18 Jahren wurde vor 25 Jahren durch das Betreuungsrecht abgelöst. Der Betreute ist somit nicht mehr entmündigt, und der gesetzliche Betreuer ist ihm gleichgestellt.
- Angehörige, Freunde, Nachbarn, Ärzte oder Behörden können sich an das Betreuungsgericht wenden. Das entscheidet, ob der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seine Angelegenheiten zu regeln, etwa infolge einer körperlichen, seelischen oder geistigen Erkrankung.
- Typische Krankheiten, die eine Betreuung nötig machen: Altersdemenzen, Psychosen, Suchtkrankheiten und geistige Behinderungen.
- Bereiche: Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Wohnungsangelegenheiten, Vertretung vor Behörden, Gesundheitsfürsorge…
- Kosten: Ehrenamtliche Betreuer erhalten eine jährliche Aufwandsentschädigung in Höhe von 399 €. Vereinsbetreuer, Rechtsanwälte und andere freiberufliche Betreuer bekommen einen Stundensatz zwischen 27 und 44 Euro (je nach Qualifikation).
- Der Betreute muss die Kosten der Betreuung selbst bezahlen. Hat er keine Vermögenswerte oder liegen sie unterhalb der Freibeträge, zahlt die Staatskasse.