09.06.2021
SERIE: Menschen hinter den Schulden erzählen ihre Geschichte
In der Aktionswoche der Schuldnerberatung unter dem Titel „Der Mensch hinter den Schulden“ schildern uns täglich vom 7. bis 12. Juni Klientinnen und Klienten ihre persönliche Geschichte. Anonym, aber konkret.
Sie erzählen, wie sie sich gegen die wachsenden Schulden stemmten und die Geldsorgen trotzdem immer größer wurden. Irgendwann wurde es unmöglich, die Höhe der Schulden halbwegs abzuschätzen, geschweige denn abzubauen. In der Schuldnerberatung des SkF Recklinghausen fanden sie Hilfe.
Die fünf Beispiele aus der Beratungspraxis zeigen: Überschuldung trifft nicht nur Gruppen wie SGB II-Empfänger oder sogenannte bildungsferne Haushalte. Damit niemand identifiziert werden kann, haben wir die Fälle leicht verfremdet. Auch die Vornamen stimmen nicht.
TEIL 5, Freitag, 11. Juni
Zum Ende der Aktionswoche stellt sich Lara, 20 Jahre, vor. Sie macht eine Ausbildung zur Friseurin, 13 Gläubiger, Gesamtverschuldung 5.500 Euro.
„Meine Kindheit und die Beziehung zu meinen Eltern war von Gewalt geprägt. Das Jugendamt vermittelte mich in eine Wohngruppe. Seitdem besteht kein Kontakt mehr zu meinen Eltern. Ich absolvierte die Schule und begann eine Ausbildung zur Friseurin. Kurze Zeit nach meinem 18. Geburtstag zog ich in eine eigene Wohnung.
Da mein Azubigehalt eher gering ausfällt, beantragte ich zusätzlich zu meinem Kindergeld Berufsausbildungsbeihilfe. Insgesamt komme ich monatlich auf ungefähr 850 Euro.
Damit ich auf der Arbeit einen guten Eindruck mache, kaufte ich mir regelmäßig neue Bekleidung. Mit meinen Freunden traf ich mich regelmäßig, um ins Kino zu gehen oder andere Dinge zu unternehmen.
Meine monatlichen Fixkosten hatte ich zunächst im Blick. Es kam jedoch der Zeitpunkt, wo ich den Überblick verlor und die erste Miete offen war. Ich war überrascht, dass ich nach einem Krankenhausaufenthalt für jeden Tag des Aufenthaltes 10 Euro Zuzahlung leisten sollte. Dann konnte die monatliche Lastschrift für mein Fahrkartenabo nicht eingezogen werden. Einige weitere Rechnungen konnten ebenfalls nicht gezahlt werden. Ich versuchte, möglichst viel zu zahlen, verlor jedoch den Überblick.
Nachdem die zweite Monatsmiete offen war, bekam ich die Räumungsklage und ich realisierte, dass ich ein großes Problem habe. Ich wand mich an die Schuldnerberatung und das Amt für Wohnungssicherung. Mit meinem Vermieter wurde eine monatliche Ratenzahlung ausgehandelt, die ich gut tragen kann. Wenn ich diese weiterhin pünktlich zahle, besteht keine Gefahr mehr, dass ich meine Wohnung verliere.
Die Schuldnerberatung konnte bei meinen übrigen Gläubigern eine Stundung aushandeln. Wir haben den Plan, dass ich zunächst meine Ausbildung beende. Danach werde ich ein etwas höheres monatliches Einkommen erhalten, sodass wir dann bei den anderen Firmen auch noch nach und nach Ratenzahlungen vereinbaren können.
Damit ich nicht noch einmal in so eine Situation komme und einen besseren Überblick über meine Finanzen habe, führe ich nun ein Haushaltsbuch. Darin trage ich meine Fixkosten ein und jede weitere Geldausgabe, die ich tätige.“
Kontakt: Schuldnerberatung des SkF Recklinghausen, Kemnastraße 7
- Offene Sprechstunde ohne Anmeldung an jedem ersten Dienstag im Monat von 14:00 bis 16:00 Uhr und jeden dritten Mittwoch im Monat von 9:00 bis 11:00 Uhr.
- Terminvereinbarung möglich unter Tel. 02361/ 4859812.
TEIL 4, Donnerstag, 10. Juni
Sandra, 55 Jahre, alleinstehend, geschieden, 13 Gläubiger, Gesamtverschuldung 60.000 Euro bei verschiedenen Banken, hat eine unbefristete Beschäftigung in einem Krankenhaus, der Verdienst ist schwankend, netto ca. 2.300 Euro.
„Seit meiner Scheidung ist mein Leben komplett durcheinander. Ich arbeite hart und viel und komme häufig an meine körperlichen und mentalen Grenzen. Grundsätzlich mache ich meine Arbeit gerne. Die Erschöpfung versuchte ich damit zu kompensieren, mir auch mal etwas zu gönnen.
Durch die Scheidung war ich schon finanziell in Schieflage geraten und hatte diverse kleine Bankkredite und Kreditkartenverträge abgeschlossen. Durch einen neuen Kredit versuchte ich, andere Kreditraten zu bedienen. Ich wollte ja niemandem etwas schuldig bleiben. Allerdings wuchsen Kosten und Zinsen unaufhörlich und der psychische Druck war nicht mehr auszuhalten. Die Belastung in meiner Arbeit ist sehr hoch und ich kann mir keine Fehler erlauben.
Als ich wegen Depressionen einen Reha-Klinik-Aufenthalt benötigte, bekam ich deutlich weniger Krankengeld. Infolgedessen wurde der Dispo meiner Hausbank gekürzt und ich sollte sofort eine hohe Summe zurückzahlen.
In der Klinik riet man mir, eine Schuldnerberatung aufzusuchen und erst dort habe ich das Ausmaß meiner Verschuldung realisiert. Fast mein komplettes Einkommen ging nach Abzug der Fixkosten für Bankraten drauf.
Ich habe mich von allen unnötigen Ausgaben getrennt und warte auf die Aufnahme in das Verbraucherinsolvenzverfahren, in dem ein Teil meines Einkommens für die Insolvenz eingesetzt wird. So trage ich wenigstens etwas zu meiner Entschuldung bei.“
TEIL 3, Mittwoch, 9. Juni
Christoph, 32 Jahre, geschieden, zwei Kinder (ein und drei Jahre), hat einen befristeten Arbeitsvertrag, Vollzeit, Verdienst netto 1.352 Euro, zahlt monatlich 300 Euro Kindesunterhalt, sechs Gläubiger, Gesamtverschuldung 10.000 Euro.
„Ich fühle mich mit meiner Lebenssituation überfordert, habe daher die Vermögensauskunft nicht abgegeben und einen Gerichtstermin verpasst. Seit meiner Scheidung zahle ich monatlich 300 Euro Unterhalt und habe glücklicherweise eine preiswerte Wohnung gefunden. Meine Ausgaben habe ich so gering wie möglich gehalten.
Durch die Scheidung habe ich Rechtsanwalts- und Gerichtskosten, die ich mit monatlichen Raten von insgesamt 235 Euro bediene. Ich muss auch die Prozesskostenhilfe zurückzahlen. Wegen der Corona-Pandemie bin ich in Kurzarbeit gekommen und habe weniger Einkommen. Ich habe große Angst, meine Arbeit zu verlieren. Früher habe ich lange ALG 2 bezogen. Ich will nicht mehr vom Staat abhängig sein.
Den Bankkredit konnte ich nicht mehr bedienen, der Gerichtsvollzieher wollte meinen Lohn pfänden lassen. An die Unterhaltsvorschusskasse zahle ich monatlich eine kleine Rate zurück. Ich weiß nicht mehr, wie es weitergeht.
Ich bin froh, dass ich in der Schuldnerberatung Unterstützung bekomme. Meine Kontoauszüge hole ich mir monatlich und hefte sie ab. So habe ich erstmals einen Überblick über meine Kontobewegungen erhalten. Jeden Tag gehe ich zum Briefkasten und öffne meine Post, was für mich ein großer Schritt ist. Ich habe mir mit Hilfe meiner Schwester einen Ordner angelegt und bekomme immer mehr einen Überblick über meine Gläubiger und Finanzen.
Bußgelder zahle ich alle weiter und hoffe mit den übrigen Schulden ein Verbraucherinsolvenzverfahren durchlaufen zu können.“
TEIL 2, Dienstag, 8. Juni
Bastian, 44 Jahre, getrennt lebend, vier Kinder, acht Gläubiger, Gesamtverschuldung 10.000 Euro, hat eine unbefristete Beschäftigung als Schreiner, Verdienst netto 2000 Euro.
„Ich war Alleinverdiener, meine Frau kümmerte sich um die Kinder und unsere Finanzen. Die Miete wurde als Dauerauftrag abgebucht, alle anderen Rechnungen wurden je nach Finanzlage bezahlt. Am Monatsende reichte das Geld oft nicht. Eine hohe Heizkostennachzahlung und eine defekte Waschmaschine brachten uns an den Rand der finanziellen Möglichkeiten. Gleichzeitig war eine dringende Autoreparatur nicht mehr aufzuschieben. Das Auto benötigte ich für die Arbeit.
Mein Arbeitgeber bat mir ein Darlehen an und behielt dafür monatlich 200 Euro vom Lohn ein. Zunächst gab das Luft, allerdings kamen wir schnell überhaupt nicht mehr über die Runden und ich schloss einen kleinen Kreditvertrag bei einer Bank ab. Die Kreditraten konnte ich nur drei Monate zahlen. Die Scham war sehr groß.
Gleichzeitig wurde es in unserer Ehe immer schwieriger, die finanzielle Situation belastete das gesamte Familienleben. Unser Sohn wurde immer auffälliger und wir mussten therapeutische Hilfe annehmen. Unsere Tochter kam in der Schule nicht mehr mit und musste eine Klasse wiederholen. Die Kleine fing in dieser Zeit an, nachts wieder ins Bett zu machen. Meine Frau verschloss die Augen vor der Realität und bestellte im Internet immer wieder Sachen, die wir nicht mehr bezahlen konnten.
Als nichts mehr ging und der Druck zu groß wurde, trennte sich meine Frau von mir. Ich brauchte wieder Geld für eine kleine eigene Wohnung, den Umzug und eine Grundausstattung. Erst nach und nach wurde mir das Ausmaß unserer Situation bewusst. Meine Ex-Frau hatte ohne mein Wissen vieles auf meinen Namen bestellt. Jetzt kam auch noch der Kindesunterhalt hinzu. Von den Gläubigern bekam ich Mahn- und Vollstreckungsbescheide und der Scheidungsanwalt wollte auch sein Geld haben. Die seelische Belastung wurde immer stärker, weil sich jetzt auch noch meine Kinder von mir abwendeten. Ich wusste nicht mehr, wo mir der Kopf stand und hatte schon mit konkreten Suizidgedanken gespielt. Glücklicherweise habe ich einen Bruder, der mir zur Seite steht, und mein Arbeitgeber ist mir gut gesonnen. Er hat mir auch die Schuldnerberatung empfohlen.
Die Sachbearbeiterin riet mir, ein neues Konto nur auf meinen Namen einzurichten, damit ich weiter über mein Einkommen verfügen kann. Ein Haushaltsplan verschaffte mir einen Überblick über meine Einnahmen und Ausgaben und ich reduzierte die Ausgaben auf das Nötigste.
Mit Hilfe der Schuldnerberatung habe ich jetzt einen Überblick über meine Gesamtverschuldung bekommen und weiß, wieviel Geld mir monatlich zur Verfügung steht. Ich habe mich jetzt doch für eine Privatinsolvenz entschieden, da ich absehbar meine Schulden nicht eigenständig begleichen kann."
TEIL 1, Montag, 7. Juni
Den Anfang macht Sabine, 40 Jahre, ledig, schwerbehindert, 12 Gläubiger, Gesamtverschuldung 4.600 Euro, hat eine unbefristete Beschäftigung in einem Callcenter, Verdienst netto 1.100 Euro
„Ich bemühte mich, stets meine Miete, meinen Strom und meine Heizkosten zu begleichen. Um gut geschützt zu sein, habe ich diverse Versicherungen abgeschlossen. Hier waren weitere monatliche Zahlungen notwendig. Damit ich die Zahlungen regelmäßig tätigen konnte, räumte mir meine Bank einen Dispo ein.
Es kam der Zeitpunkt, an dem ich meine Versicherungen nicht mehr zahlen konnte. Einige Rechnungen beim Versandhandel blieben ebenfalls offen. Es schlossen sich offene Telefonrechnungen und die Rundfunkbeiträge an. Mein Dispo war komplett ausgeschöpft. Ich schaffte es, meine Miete zu zahlen und die weiteren Wohnkosten. Lebensmittel konnte ich mir leisten. Mit Freunden ins Kino gehen war nicht möglich. Mir war meine Situation peinlich. Ich sprach mit niemanden darüber und zog mich immer mehr zurück.
Dann kam der Tag als der erste Mahnbescheid im Briefkasten lag. Die Angst vor dem Gerichtsvollzieher und möglichen Pfändungen wuchs. Was würde geschehen, wenn mein Arbeitgeber eine Lohnpfändung erhält? Verliere ich meinen Job? Finde ich einen neuen?
Im Internet fand ich die Kontaktdaten der Schuldnerberatung beim SkF Recklinghausen und vertraute mich dort an. Zunächst wurde mir geraten, ein neues Girokonto zu eröffnen, um weiterhin über mein Einkommen verfügen zu können. Im nächsten Schritt wurden meine monatlichen Ausgaben besprochen. Es stellte sich heraus, dass ich deutlich mehr Versicherungen abgeschlossen hatte, als zwingend erforderlich sind. Es wurden einige gekündigt, so dass sich hier bereits erste Einsparungen ergaben.
Ich kündigte meine Lebensversicherung und ließ mir das Guthaben auszahlen. Die Beraterin handelte mit den Gläubigern Vergleiche aus. Das Guthaben meiner Lebensversicherung wurde eingesetzt.
Glücklicherweise nahmen alle Gläubiger die Angebote an, so dass ich nun schuldenfrei bin.“